Ob es wirklich eine Bulthaupt-Küche war, oder doch eher ein Modell von Phillip Stark, wird kaum zu klären sein. Allerdings werden wir aus dem geschwätzigen Berlin sicherlich noch erfahren, ob Pasta und Weißwein gereicht wurden und wer Koch oder Kellner war. Schließlich wähnen sich die Beteiligten auf dem Weg in die Geschichtsbücher und rangeln heftig um ihren Platz darin. Entscheidend ist, dass das Setting eine Fantasie von Privatheit und Authentizität umgibt und ein abendliches Gespräch zu einem medialen Ereignis stilisiert.
Die Fakten: Kaum 48 Stunden nach der Schließung der Wahllokale treffen sich die grünen Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck mit FDP-Chef Christian Lindner und Generalsekretär Volker Wissing in Berlin zu einem Acht-Augen-Gespräch. Alle Vier posten kurz nach Mitternacht das gleiche Foto, den gleichen Text und setzen damit ein Zeichen: Der Post wird zu einem symbolischen Akt und auch ein bisschen zum Versuch, im Machvakuum nach der “Zerstörung der CDU“ den „Mantel der Geschichte“ zu greifen.
Der Kanal
Instagram ist die bildstärkste Plattform des Facebook-Konzerns, in Deutschland immer noch weiter wachsend. Die vier Protagonisten verfügen über unterschiedlich große und relevante Communities – zusammen über 850 Tausend Follower.
Nach 24 Stunden haben gut 30% der Follower von Robert Habeck, Annalena Baerbock und Christian Lindner den Post geliked, bei Volker Wissing sind es 11 der 13 Tausend Follower. Der Post erreicht damit innerhalb eines Tages fast eine Millionen Kontakte, verbunden mit ca. 300 Tausend digitaler Interaktionen wie Likes und Kommentare – nur auf Instagram. Solche Social-Media-Reichweiten in 24 Stunden erreichen selbst die sonst so starken Kanäle der AFD und der Bundesregierung nur in Ausnahmesituationen. Die vier Akteure versuchen, ihr digitales Kapital in politisches Kapital umzumünzen und ihren Griff nach der Macht unübersehbar zu machen.
Das Timing
Der Post erscheint kurz nach 24h auf allen vier Profilen fast zeitgleich. Es handelt sich um eine abgestimmte Veröffentlichung, eine Art „digitales Communiqué“. Die Uhrzeit suggeriert ein „Phantasma der Nähe“ (Joseph Vogl) – der Abend war lang, wir sprachen bis nach Mitternacht. Follower, die ggf. noch wach sind, werden unmittelbar Zeuge der Veröffentlichung oder finden den Post morgens zum Aufwachen ganz oben in ihrem Social-Media-Feed. Gleichzeitig können die Online-Reaktionen während der dünn besetzten Nachtschichten nicht sofort reagieren, so das die Botschaft nicht von der journalistischen Verarbeitung überformt werden kann. Eine taktisches Timing, das bereits Donald Trump perfektioniert hatte.
Das Timing der Veröffentlichung hat noch eine weitere kommunikative Dimension; der sogenannten „Hauptstadtpresse“ war kolportiert worden, dass ein erstes informelles Treffen der Grünen und FDP erst am Mittwoch Abend stattfinden sollte. Der Post in der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch macht deutlich, dass die Akteure den Journalist*innen in Berlin zwei Nachrichten senden wollen; seht her, wir brauchen Euch nicht, um unseren Communities „Breaking News“ zu servieren. Zweitens schicken wir einen gemeinsamen Post; die „digitale Durchstecherei“ wie bei den „Jamaika“-Verhandlungen soll sich nicht wiederholen…jetzt sprechen wir mit einer Stimme, zumindest heute Abend.
Das Foto
Die vier Akteure sind professionelle Selbstdarsteller und die Positionierung der Personen ist so abgestimmt, das Annalena Baerbock als einziger Frau entsprechend heraus gehoben ist, die drei Männer trotzdem von ihrer „Schokoladenseite“ zu sehen sind. Die Kleidung ist „business casual“, alle erscheinen auf Augenhöhe in einem neutralen, aber vermutlich privaten Raum.
Das Foto ist im Querformat mit einem Smartphone aufgenommen, nach der Körperhaltung zu schließen von Volker Wissing. Das Licht kommt direkt aus der Kameraachse, was den Eindruck eines „semi-professionellen“ Fotos und des eher privaten Settings verstärkt. Die geröteten Augen der drei Männer lassen auf Alkoholgenuss schließen, im Gegensatz zu Annalena Baerbock.
Das Bild vermittelt gewollte Attribute; Nähe ohne Kumpanei, Vertrauen trotz Dissenz. Und es formuliert eine Nachricht durch Auslassung; Kein Wolfgang Kubicki oder Jürgen Trittin erscheint, die Männer sind weder übergewichtig noch weißhaarig. Es ist die Mutter und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und nicht Claudia Roth oder Renate Künast, die das Zentrum des Bildes beherrscht. Zwar posten alle Vier das Bild verschieden formatiert und bearbeitet – aber alle das gleiche Motiv. Vor dem geistigen Auge sieht man die vier Akteure sich gegenseitig das Bild aufs Handy schicken und laut am gemeinsamen Text feilen – und das digitale Momentum genießen. Und da ist noch etwas; man stelle sich die Gedanken eines Olaf Scholz, Armin Laschet oder Markus Söder beim Blick auf das Smartphone vor, auf dem dieses Bild erscheint…drei exklusive Adressaten, die von den Absender*innen mit Sicherheit nicht vergessen wurden.
Der Text
…ist „reduced to the max“ und damit sehr „instagramable“. Aber trotz der Kürze handelt es sich nicht um boulevardeske Sprachsemantik: Der Text ist so reduziert, dass er vollständig mit dem Bild auf einem Smartphone-Bildschirm erscheint, damit ist die Botschaft perfekt auf die Bedingungen der Platform reduziert. Die Sprache ist bildhaft – „wir loten aus“ und suchen nach „Brücken über Trennendes“ – und der Text ist rhythmisch auf drei Aussagen reduziert und schließt mit dem offenen Statement; „Spannende Zeiten“. Die Sprache orientiert auf die städtischen, überdurchschnittlich gebildeten Communities der Protagonisten, die mit „sophisticateten“ Sprachbildern erreichbar sind und offene Enden ertragen können, wenn sie sich als Teil eines Ereignisses/eines Prozesses fühlen können.
Conclusio
Der Post der vier Parteifunktionäre ist eine mediale Geste im Machtvakuum, dass die Bundestagswahl vom 26. September hinterlassen hat. Form, Botschaft und Timing zeigen nicht nur die gereifte Professionalität der Protagonisten. Der Post symbolisiert die Fähigkeit, ein digitales Medium zum eigenständigen Agendasetting zu nutzen um ein politisches Momentum zu erzeugen. Es könnte wieder eine politischen Situation sein, in dem nicht eine öffentliche Rede oder ein Auftritt im TV-Studio den Unterschied machte, sondern ein Social-Media-Post den nachfolgenden Ereignissen eine Richtung gab. Denn die Botschaft des Posts ist nicht „Jamaika“ oder „Ampel“; Der „Herbst des Patriarchen“ soll erkennbar beginnen, darauf müssen sich Laschet, Söder oder Scholz einstellen: „Wir sind die Kanzlermacher“.
Aber vielleicht kommt alles auch ganz anders…so ist das „in times of Social Media“.
Berlin, 30. September 2021
Jost Listemann, Politikwissenschaftler, Produzent und Hochschullehrer: Als TV-Journalist berichtete er in den 90er Jahre für verschiedene TV-Sender aus dem Berlin der Wendezeit, anschließend arbeitete er in längeren Rechercheprojekten in den Filmarchiven Vietnams und der DDR-Wochenschau. Seit 2005 betreibt er die Produktionsgesellschaft TIME:CODE:MEDIA GmbH, zu deren Kunden öffentliche Institutionen und globale Marken gehören. An der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft/Berlin unterrichtet er internationale Journalisten und Unternehmenskommunikatoren, an der Universität Halle/Wittenberg forscht er zu „Politische Repräsentation im digitalen Raum“.